Mit einem verträumten Blick schaute ich aus dem Fenster und freute mich über die herrlichen Flugkünste meiner kleinen gefiederten Freunde. Gedankenversunken saß ich da und bekam überhaupt nicht mit, wie Rouvine in mein Arbeitszimmer trat. „Onkel Rouvard?“ Obwohl ihre Stimme sehr sanft und melodisch war, so riss sie mich doch aus meiner gemütlichen Idylle. Ich warf den Piepmätzen noch einen letzten flüchtigen Blick zu, bevor ich mich meiner Nichte zuwandte. „Ja, mein Kind? Was ist denn? Sitzt Borin etwa wieder unter unseren Gästen!“ Mit Schrecken dachte ich noch an unsere letzte Begegnung, wo er seine Haut in letzter Sekunde gerettet hatte. „Nein, Onkel!“ Rouvines Stimme wurde noch leiser und schmiegte sich mit einer unglaublichen Zärtlichkeit an mein Trommelfell. Nur, immer wenn Rouvine so sanft zu mir alten Mann war, dann war die Situation wirklich ernst. „Nun raus mit der Sprache, mein Kind. Wer oder was ist es, dass dich so zu mir sprechen lässt. Ich bin zwar alt, aber ich kann der Wahrheit noch direkt ins Auge sehen.“ „Nun, Onkel...“ Rouvine druckste ein wenig herum, bis sie es dann endlich aussprach. „Da unten sitzt ein Mann, der sich Justis der Gerechte nennt...“ „Kenn ich nicht!“ warf ich mürrisch ein und schaute Rouvine gespannt ins Gesicht. Rouvines Lächeln schien wie eingefroren, ihr Blick schien an mir vorbeizugehen. „Der Mann will sich bei dir beschweren!“ „Bei mir beschweren? Warum?“ Ich horchte interessiert auf. „Wieso und weshalb suchte mich jemand nur wegen einer Beschwerde auf?“ Rouvine wollte oder konnte mir keine Antwort darauf geben, was blieb mir anderes übrig? Mit einem tiefen Seufzer, der all meinem Unmut ausdrückte, erhob ich mich und folgte Rouvine in den Schankraum. In einer der hinteren Ecken saß eine, in dunklem Grau gekleidete Person, die in einer Schriftrolle vertieft schien. „Der ist es...“ flüsterte Rouvine mir ins Ohr und zog sich zurück. Da stand ich nun, allein und unwissend, was dieser seltsame Mann von mir wollte. „Ich bin Rouvard...“ sprach ich ihn an und kam nicht weiter. Dieser Mann, der zudem aschfahl im Gesicht war, unterbrach mich einfach. „Mein Name ist Juris, auch der Gerechte genannt. Ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihre Ausstellungsware zu prüfen!“ „Wie? Zu prüfen?“ entwich es ungläubig meinem Mund. „Nach Art.3 Absatz 2 Tromothanischem Urheberrechts (kurz TU) liegen mir Beschwerden vor, dass Teile Ihrer Ausstellungsware nicht ordnungsgemäß angemeldet wurden.“ „Tromothanisches Urheberrecht? Noch nie davon gehört... außerdem habe ich die schriftlichen Zusagen aller Künstler und Autoren, deren Werke in meiner Schänke veröffentlicht wurden.“ „Ach wirklich?“ ein hämisches Grinsen zeichnete sich auf dem Gesicht dieses Juris ab, „und was ist mit den Kristallkugeln?“ „Kristallkugeln? Mhhh....“, in diesem Moment fiel mir mein verstaubter Raum ein, den seit ewigen Zeiten niemand mehr besucht hatte. „Öh, ja. Ich habe darauf hingewiesen, dass die kurzen Szenen aus einer öffentlichen Darbietung stammen. Ich habe sie per Magie eingefangen, ein wenig verändert und in die Kristallkugeln gebannt! Dabei habe ich auch vermerkt, aus welcher Darbietung die Szenen stammten.“ Das Grinsen dieses Juris wurde immer breiter, „Aber Ihr habt nicht den Inititator, den Geldgeber, dieser eingefangenen Darbietung, um eine Erlaubnis gefragt, oder?“ „Nein, habe ich nicht. Schließlich habe ich die Szenen verändert und bearbeitet, dabei ist doch letztendlich MEINE Kreation entstanden.“ verteidigte ich mich schwach und hoffte, dass diese unangenehme Gestalt endlich wieder verschwinden würde. „Ihr habt eine sehr interessante Rechtsauffassung, verehrter Rouvard. Erst klaut ihr das geistige Eigentum, dann verändert ihr es und gebt es als Eure Leistung aus...“ „Nein, so habe ich das doch gar nicht gesagt.“ erwiderte ich leise. Wie konnte ich diesen Kerl nur wieder loswerden, seine Gegenwart verursachte mir Gänsehaut. Überhaupt war durch seine bloße Anwesenheit nicht auch der ganze Schankraum irgendwie kälter geworden. „Und nun...“ „Ihr werdet Euch eine Erlaubnis holen, diese Darbietungen in den Kristallkugeln zeigen zu dürfen oder...“ „Oder was?“ fuhr ich ihn wütend an. „Ihr zerstört Eure Kristallkugeln!“ Seine Worte klangen irgendwie gehässig und voller Schadenfreude. Ich überlegte, das Tromothaner Recht schien wohl auf seiner Seite, außerdem wurde der Raum mit den Kristallkugeln nur noch sehr selten betreten, eigentlich wäre es doch wirklich der richtige Zeitpunkt, den Raum neu zu gestalten. „Kommt mit!“ forderte ich diesen Juris auf und ging zu einer alten, mit Spinnweben verklebten Tür. Woher wusste er von den Kristallkugeln? Entweder gab es Turbospinnen, die in einer rasend schnellen Zeit ihr Spinnennetz weben konnten oder in dem Raum war seit ewigen Zeiten niemand mehr gewesen! Aber woher wusste es dieser Juris? Woher? Diese Gedanken machten mich unruhig. Was wusste dieser merkwürdige Mann noch von meiner Schänke? Widerwillig ließ sich die verzogene Tür öffnen. Mit einem lauten, aufheulenden Quietschen schwang sie auf und gab den Blick auf meine fünf Kristallkugeln frei! Zielstrebig bahnte ich mir meinen Weg durch weitere Spinnweben und dem dicken Staubteppich. „Seht her!“ meinte ich mit entschlossener Stimme und hob die erste Kristallkugel hoch. „Ich sehe!“ erwiderte Juris, „Und was macht ihr jetzt damit?“ „Zerstören!“ schrie ich ihn laut an und warf sie ihm knapp vor die Füße. „Hey, nicht so nah!“ bemerkte der Beamte(?) trocken. Meine Aktion schien ihn nicht zu beeindrucken. Das Kristallglas flog in hohen Bögen durch die Luft und landete sanft zwischen den unzähligen Weben oder auf dem staubigen Boden. In nächster Zukunft sollte ich hier Rouvine und Rrouvasch, mit Besen und Feudeln bewaffnet, durchjagen lassen. Auch an Juris Gewand waren einige Splitter hängen geblieben, doch es schien ihm nichts auszumachen. Er stand nur stumm da und betrachtete mich, wie ich auch die anderen Kugeln, nahe an seinen Füßen, zu Boden warf. Wieder funkelten Unmengen von Splittern durch die Luft und gaben dem Raum eine unheimliche Wirkung. Bei der letzten Kristallkugel geschah es dann. Sie landete direkt vor den Füßen dieses unheimlichen Mannes. Das Kristallglas brach und fiel in sich zusammen. Ja, es fiel in sich zusammen und flog nicht weg. Ich schaute Juris stumm an, er erwiderte meinen Blick. Wir beide waren wirklich überrascht. Noch ehe einer von uns beiden was erwidern konnte geschah es. Aus der Kugel schoss ein gleißender Lichtstrahl, der mir die Sicht nahm. Der Raum wurde in ein strahlendes Weiß getaucht, das einige Minuten anhielt, bevor es wieder abebbte. Verwundert schaute ich mich um, Juris war weg. Eilig lief ich zu Rouvine in den Schankraum, in dem gähnende Leere herrschte. Sie war auch nicht da. Mit verängstigter Stimme rief ich nach ihr. Ihre Stimme klang entfernt, doch dann machte ich ihre Gestalt am oberen Treppenabsatz aus. „Wo sind die ganzen Gäste hin?“ fragte ich Rouvine. Meine Gedanken waren noch nicht ganz klar, aber ich meinte vor zehn Minuten noch andere Gäste gesehen zu haben. „Außer diesem Juris war keiner hier, Onkel! Deswegen mache ich hier oben auch die Betten!“ „Du hast also diesen Juris nicht weggehen sehen?“ bohrte ich weiter. „Nein, nachdem du mit ihm gegangen bist, bin ich auch nach oben gegangen!“ War Juris nun ein Opfer meiner Kristallkugeln geworden oder ist er nur gegangen? Seit diesem Tag sitze ich jeden Tag in meiner Schänke und warte auf eine Antwort, meine Gedanken lassen mir keine Ruhe. Gibt es ihn noch oder ist er verschwunden. Sollte ich fremde, ungenehmigte Inhalte nochmals bei mir ausstellen? Sollte ich? Diese Frage stellt sich mir jeden Tag erneut! Doch ich habe Angst, große Angst. Angst davor, dass er wiederkommt und dann die Stadtwache mitbringt.
JURIS
ENDE