Es klopfte verhalten an der edlen Holztür, die den direkten Zutritt zu Rouvards Arbeitszimmer versperrte. Der Schänkenbesitzer Rouvard Lautenschmied hob seinen Blick von seinen geöffneten Schriftrollen zur Tür und bat schließlich den Gast einzutreten. Eine kleine Gestalt huschte durch den geöffneten Türspalt hindurch und schloß sie schnell wieder hinter sich, "Onkel Rouvard, hast Du einen Moment Zeit für mich?" "Aber sicher doch, Tares! Für dich habe ich doch immer Zeit!" grinste der ältere Mann und beugte sich leicht über den Tisch, "worum geht es denn meine Kleine?" Er hatte Tares vor nunmehr zwei Jahr aus den Trümmern Zyrs gezogen und fühlte sich seitdem für die kleine Elfin mehr als verantwortlich. "Och Onkel, eigentlich wollte ich..." sie druckste ein wenig herum und schaute Rouvard mit großen, bittenden Augen an. "Sag es nur, Tares! Habe ich dir jemals für eine deiner Fragen den Kopf abgerissen?" scherzte der Alte und forderte die kleine Elfin auf, weiter zu sprechen. "Es ist wegen heute Abend..." begann sie mit leiser, zögerlicher Stimme. "Du möchtest den heute Abend stattfindenen Gesangswettstreit der besten Barden sehen, nicht wahr!" Rouvard war Tares ins Wort gefallen, da er meinte, richtig geraten zu haben. "Nicht ganz, Onkel!" wieder druckste die kleine, neunjährige Elfin herum, doch dann atmete sie tief durch und sagte mit fester Stimme, "ich möchte auch mitmachen!" Rouvard fiel der Federkiel aus der Hand. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht damit. Er schnappte nach Luft und rang nach den passenden Worten. "Wie soll ich sagen, Tares... Du scheinst deinen Jonglierauftritt gut verarbeitet zu haben, dein Entschluss zeugt von einem gesunden Selbstvertrauen, nur... nur", wie sollte er ihr nur sagen, dass er dies für keine so gute Idee hielt. Möglicherweise würde Tares die Letzte werden und diese Schmach wollte er ihr ersparen. "Du hast doch keine fünf Goldmünzen!" fiel es ihm ein. "Die Eintragung in die Teilnehmerliste ist nun einmal nicht umsonst, da kann ich keine Ausnahme machen, leider!" Er vermied es in Tares traurige Augen zu schauen und lehnte sich wieder zurück. Natürlich kam er sich in diesem Moment hart und gemein vor, doch er wollte das Kind vor dieser möglichen schrecklichen Erfahrung schützen. "Onkel?" begann Tares erneut, "trag mich bitte in die Liste ein!" Mit einem verschmitzten Lächeln legte die junge Elfin fünf polierte Goldmünzen auf den edlen Holztisch. Der alte Rouvard war mehr als überrascht. Woher hatte das kleine Kind soviel Geld? Als ob Tares seine Gedanken lesen konnte, erklärte sie mit einer fröhlichen Miene, "Onkel Malik hat sie mir gegeben, alle fünf! Er ist extra wegen mir hierhin gekommen und er möchte mich heute abend singen hören." So, so. Malik ist nur wegen dir hier." Rouvard kratzte sich nervös am Bart. Er wollte Tares unter keinen Umständen singen lassen, sie war doch noch zu jung dafür! "Trägst Du mich jetzt ein, Onkel?" Tares Stimme klang ein wenig ungeduldig und ängstlich. Rouvard hob den Federkiel, tauchte ihn in das schwarze Tintenfaß, strich die überschüssige Tinte ab und hielt nochmals inne. "Du singst, weil Malik es möchte! Aber willst Du es auch? Tares, heute abend singen hier die besten Barden und Bardinnen Tromothans, du wirst möglicherweise die Letzte werden! Und davor möchte ich Dich bewahren! Schau mal, auch ich war einmal so jung wie du. Mich hat mein Vater damals einfach beim Dorfwettbewerb der besten Erzähler angemeldet. Ich erinnere mich noch sehr gut daran: Es war ein warmer Sommertag gewesen, als der Dorfschulze bei uns vorbeikam und gefragt hat, ob ich nicht am Erzählerwettstreit teilnehmen wolle. Damals war ich in deinem Alter, auch neun. Obwohl ich nicht wollte, hat mich mein Vater angemeldet, weil er glaubte mir damit eine Freude zumachen..." "Und Onkel? Hast Du damals den letzten Platz belegt?" "Nein, Tares! Ich habe den Wettsttreit gewonnen, aber ich wäre niemals Barde geworden, wenn ich Letzter geworden wäre. Solch eine Niederlage hätte ich nie verwunden! Mein bester Freund, wie hieß er nochmals, ach ja Nuren Zungenflink, war wordgewandter und fantasiereicher als ich, nur die hohen geladenen Gäste aus den umliegenden Bardengilden, die Jury, sah das nicht so. Sie ließen Nuren Letzter werden..." "Aber warum, Onkel? Hast Du nicht gesagt, er wäre besser als du?" "War er auch, Tares. Er war es. Seine Geschichte hatte jeden in den Bann gerissen, doch im entscheidenen Augenblick, kurz vor dem Höhepunkt seiner Geschichte stand er stumm da und sagte nichts mehr. Zuerst dachten alle, dass er eine Pause machte, um die Spannung der Geschichte hochzutreiben, doch als er schließlich mit den Schultern zuckte und niedergeschlagen die Bühne verließ, wußten alle, dass er den Faden verloren hatte und den Rest der Geschichte nicht mehr kannte. Da er als einziger seinen Geschichte nicht zu Ende brachte, wurde er Letzter. So wollten es die damaligen Regeln!" "Gut Onkel! Aber warum erzählst du mir das alles? Onkel Malik hat mir auch schon eine ähnliche Geschichte geschildert. Hat sich Nuren auch umgebracht? Ist auch er von der Jammertalbrücke gesprungen?" Rouvard strich sich verlegen über sein graues Haar und nickte. "Ja, er hat diese Schmach nicht verwinden können und ist in den Tod gesprungen! Erstaunlich, dass Malik auch so ein Schlüsselerlebnis hatte." "Onkel, ich verspreche dir, dass ich mit nichts antun werde, auch wenn ich die Letzte und ausgebuht werden sollte." Tares schaute den alten Rouvard mit einem treuherzigen Blick an, dem selbst er nicht wiederstehen konnte. Sein Gänsekiel fuhr über das Pergament und schrieb den Namen der kleinen Elfin hinzu. So ganz geheuer war ihm die Sache trotzdem nicht., da waren zu viele Umstände in zu kurzer Zeit geschehen. Gerade heute am Tag des Sangeswettstreits taucht Malik hier auf. Er schenkt Tares die unglaubliche Summe von fünf Goldmünzen, (der hätte besser seine offene Zeche bezahlen sollen) um sie heute Abend auf den Wettstreit singen zu hören. Er war mit seinen Gedanken abgedriftet und bekam überhaupt nicht mit, wie Tares ihn fröhlich auf die Wange küsste und beschwingt wieder verschwand. Einen Moment blieb er noch wie versteinert sitzen, doch dann erhob er sich. Malik! Mit ihm mußte er unbedingt sofort ein paar Worte wechseln. Rouvard hatte die Tür seines Arbeitszimmers nur einen Spalt weit geöffnet, da vernahm er schon leise die Geräusche aus der Schänke, die eine Etage tiefer lag. Es waren fröhliche Klänge, die von einzelnen Lachern und „Bravo“-Rufen unterlegt waren. Für die Mittagszeit waren diese Laute sehr verwunderlich, da ein Großteil der Gäste nicht vor dem späten Nachmittag, nach den üblichen Geschäften des Tages, bei ihm einkehrten. „Da stimmt doch was nicht“, murmelte er argwöhnisch und machte sich rasch auf den Weg zur Schänke. Als er die Schänkentür öffnete, schlug ihm nicht nur ohrenbetäubende Musik entgegen. Das Bild, was sich ihm bot, ähnelte schon stark einem Sündenpfuhl. Raffelio Wunderklang, der Sprecher der wandernden Barden stand auf dem Tisch und sang schlüpfrige Lieder zu der Melodie seiner Laute. Die Gäste lachten und folgten den eindeutigen Aufforderungen zum Beischlaf. Zum Glück war Tares nicht in der Nähe, dieser Anblick von nacktem Fleisch, der unzüchtigen Bemerkungen und diesen eindeutigen Texten waren nichts für die kleine Elfe. Und wo zum Teufel waren Rouvine und Rouvasch? Von den beiden war keine Spur zu sehen, sie bewirteten weder die Gäste, sofern man dieses Pack als solche bezeichnen konnte, noch standen sie hinter der Theke. Dort stand stattdessen.... „Malik!“ rief Rouvard wütend aus. Der Meister der disharmonischen Künste blickte kurz vom Bierzapfen auf. Hatte da jemand seinen Namen gerufen? Bereits im nächsten Moment legte sich eine Hand hart um seinen Nacken und drehte seinen Kopf grob zu Rouvards zornesrotem Gesicht. „Was geht in meiner Schänke vor? Was machst du hinter dem Tresen? Wo sind Rouvine und Rouvasch?“ brüllte ihn der höchst verärgerte alte Lautenschmied an. Mit einer unwirschen Bewegung löste sich Malik aus Rouvards hartem Nackengriff. „Rouvard?“ lachte er mit unbeschwerter Miene den alten Barden an, „Setz dich und feiere mit! Ein Bier?“ Die freche, unbekümmerte Art des schlecht vernarbten Barden brachte Rouvard noch mehr in Fahrt. „Was geht hier vor?“ brüllte er Malik ins Ohr. „Tja, Lautenschmied!“ Wieder huschte ein feixendes Grinsen über Maliks Mund: „Ich habe diese Schänke für heute gemietet und Rouvasch sowie Rouvine freigegeben....“ „Aber...“, weiter kam Rouvard nicht, Malik hatte ihm einen kleinen, prall gefüllten Sack in die Hand gedrückt. „Hier, die Miete! Für heute gehört deine Schänke mir!“ Energischer Widerstand baute sich in Rouvard auf: „Behalte deine Münzen und gehe woanders feiern. Hier findet heute Abend ein Sangeswettbewerb statt...“ „Ruhig, Meister Lautenschmied, ganz ruhig. Wir feiern hier noch eine kleine Weile weiter und dann werden wir alles für den heutigen Abend vorbereiten. Wir wollen doch nicht, dass deine Schänke in Verruf kommt, oder?“ Wieder einmal blieben Rouvard die Worte im Hals stecken. Was sollte er nur noch sagen? Malik hatte ihm den Wind aus den Segeln genommen. Mit vergrämtem Gesicht verließ Rouvard den Schankraum und trat vor die Tür. Die warme Mittagssonne fiel sanft auf sein verärgertes Gesicht und vertrieb ein klein wenig seine angesammelte Wut. Wo mochten Rouvasch und Rouvine nur sein? Müßig betrat er die staubige Straße und machte sich auf die Suche nach den beiden. Am anderen Ende der Stadt fand er die Gesuchten. Rouvasch spielte auf einer Rusko-Leier und Rouvine sang mit ihrer unvergleichbar hellen Stimme dazu das Lied vom verliebten Esel. Viele Zyrer standen in Grüppchen um sie herum und summten das bekannte Lied mit. Gemächlich und ohne Eile schlenderte Rouvard dorthin und verfolgte interessiert die Darbietung der beiden. Rouvasch begann gerade eine neue Melodie anzustimmen. Der alte Rouvard überlegt, nachdem er ein paar Takte gehört hatte, angestrengt. Wieso kannte er dieses Lied nicht? Rouvines helle Stimme drang sanft in sein Ohr: „Und nun, die Bürgerinnen und Bürger von Zyr, bitten wir euch um eure geschätzte Aufmerksamkeit für Tares!“ „Tares?“ durchfuhr es Rouvard. Warum trat Tares hier auf der Straße auf? Da sah er sie auch schon aus dem Schatten einer alten Steineiche hervortreten. „Tares?“ rief er verwundert aus, als die hellen Sonnenstrahlen auf sie fielen. Tares war fast nicht wiederzuerkennen, sie trug ein eng anliegendes viel zu eng für seinen Geschmack Kleid aus dunkelblauer Seide. Ein schmales, zartes Goldkettchen schmückte ihr Dekolleté und an ihren Füßen trug sie feine, mit schmalen braunen Lederriemen gefertigte Sandalen. Der alte Rouvard verstand die Welt nicht mehr. Was ging hier vor sich? Die Erleuchtung folgte bereits im nächsten Moment: MALIK. Der Barde hatte Tares die Sachen geschenkt und sie mit Rouvasch und Rouvine losgeschickt, damit sie noch genug Übung für den Abend bekäme. Nur woher hatte Malik das ganze Geld? Und warum war es Malik so wichtig, dass Tares am Gesangswettbewerb teilnahm? „Dieses Lied widme ich meinem Onkel Rouvard, er ist der beste Onkel, den man sich wünschen kann!“ Bereits im nächsten Moment erhob sich ihre reine, glockenhelle Stimme, die Rouvines Stimme an Süße weit übertraf. Rouvard stand einfach nur da und lauschte andächtig Tares traurigem Lied über ein Zwergenmädchen und einen Waldelfen, die sich trotz ihrer starken Liebe zueinander nicht mehr sehen durften. Wie nicht anders zu erwarten, nahmen sich am Ende des Liedes die Zwergin und der Elf gemeinsam das Leben, um auf der nächsten Existenzebene auf ewig vereint zu sein. Rouvard kannte einige Lieder, die diesem ähnlich waren. Schließlich war die Liebe zwischen zwei verschiedenen Rassen ein gern gehörtes Thema und brachte die Herzen der Zuhörer meistens zum Schmelzen. Selbst der alte Bardenzausel Rouvard war von Tares Stimme und dem Text so ergriffen, dass er mehrmals laut schniefen musste. Er wusste zwar, dass Tares ein Talent für Kunststücke und Bardenerzählungen hatte. Doch diese gesangliche Darbietung, die tadellos und brillant war, stellte Tares in ein neues Licht. Die kleine Elfin konnte wirklich singen, gut singen. Das Lied war zuende. Tares letzter tiefer Ton schwang noch in der Luft, als sich aus jeder Ecke der Zuhörerschaft lautes Schniefen und Schneuzen erhob. Nur Applaus wollte sich nicht einstellen, Tares hatte ihre Zuhörer mit ihrer Stimme zu sehr verzaubert. „Bravo!“ Ein erlösendes, lautes „Bravo!“ weckte die Leute aus ihrem tranceähnlichen Zustand, in welches das Lied sie gebracht hatte. Der endlich einsetzende Applaus glich einem Meer der Emotionen. Die Zuhörer gaben alles, Münzen flogen durch die Luft und bildeten einen strahlenden, im Sonnenlicht glitzernden Teppich vor Tares Füßen. Selbst Rouvard, dem ein gewisser Geiz nachgesagt wurde, öffnete seinen gut versteckten Münzbeutel und warf Tares großzügig eine Platinmünze zu und trollte sich weiter. Warum er dies tat, wusste er nicht so recht. Eigentlich hatte er doch mit seinem Neffen und seiner Nichte sprechen wollen! Er blieb stehen und grübelte. Hatte er wirklich gerade eben Tares eine Platinmünze zugeworfen? Eine solche Münze war immerhin fünf Goldmünzen wert. War er verrückt geworden, Tares so viel Geld zu schenken? Mit einer hakeligen Bewegung machte er auf der Stelle kehrt und ging zu dem Ort der Vorstellung zurück. Die Menschenmenge hatte sich aufgelöst. Tares klaubte mit Rouvasch und Rouvine die Münzen vom Boden. „Schaut mal, sogar eine Platinmünze ist dabei!“ hörte er Tares voller Begeisterung ausrufen. „Hier ist noch eine...“ „Hier auch,,,“, dann blickte die kleine Elfe mit ihrem strahlenden Gesicht auf. „Onkel Rouvard! Sieh nur, wie viel mir die Leute für meinen Gesang gegeben haben!“ Rouvard nickte beeindruckt und meinte nur: „Soviel habe ich mit meinen Geschichten noch nie verdient!“ „Wirklich nicht?“ Tares Gesicht glich einer Sonnenblume in ihrer stolzesten Pracht. Es leuchtete förmlich. Rouvard stand ein wenig verloren in der Gegend herum, auf der einen Seite freute er sich über Tares herausragenden Erfolg, auf der anderen Seite konnte er seine „Spende“ von einer Platinmünze nicht so recht nachvollziehen. Bislang hatte er höchstens, und das auch nur äußerst selten, eine Silbermünze für eine Darbietung springen lassen. Die Münzen, die Rouvasch, Rouvine und Tares vom Boden aufhoben, waren hauptsächlich Goldmünzen, und es waren viele. Mehr als er in einer gutgehenden Woche mit seiner Schänke verdiente! „Schau mal, Onkel!“ Tares hielt einen prall gefüllten, abgewetzten Lederbeutel unter Rouvards Nase, „soviel Geld habe ich noch nie in der Hand gehabt!“ Rouvard nickte gönnerhaft. „Was meinst du, Tares? Soll ich das Geld jetzt mitnehmen und für dich verwalten? Ich muss ohnehin in die Schänke zurück... Was ich dich noch fragen wollte: Wer hat dir denn diese schönen Sachen, die du trägst, gegeben?“ „Onkel Malik hat sie mir geschenkt, nun ja, fast. Das Goldkettchen hat er mir geliehen. Es soll mir heute Abend beim Gesangswettstreit Glück bringen.“ Tares hob das zierliche Kettchen ein wenig, damit Rouvard es besser sehen konnte. Der alte Lautenschmied grinste Tares wissend an, er wusste nun endlich die Antworten auf die ganzen Fragen, die ihn die ganze Zeit über gequält hatten. Er nahm Tares Geldbeutel in Verwahrung und eilte zu seiner Schänke zurück. Als Rouvard die Schanktür öffnete, staunte er nicht schlecht. Der Raum war nicht wieder zu erkennen, er war prächtig ausstaffiert und bot ein angemessenes Ambiente für den in ein paar Stunden beginnenden Gesangswettbewerb. „Tromothan zum Gruße, werter Rouvard!“ lachte Malik, der hinter dem Tresen hervorkam. „Und, gefällt es dir?“ „Ja, sehr gut sogar....“, gab Rouvard freimütig zu, „was mir überhaupt nicht schmeckt, ist dieser faule Zauber, den du heute Abend hier veranstalten willst. Das Schlimmste davon ist aber, dass du Tares damit hintergehst. Du solltest dich schämen!“ Rouvards Blick lastete schwer auf Malik, der kräftig schlucken musste. „Aber woher...“, stammelte der narbengesichtige Barde und schaute Rouvard schuldbewusst an. Der alte Lautenschmied hatte ihn diesmal kalt erwischt. „Tares hat für die Bewohner Zyrs ein Ständchen gebracht...“, begann Rouvard ärgerlich zu grummeln, doch er wurde von Maliks schriller Stimme unterbrochen: „Ich hatte Tares doch gebeten, nicht vor heute Abend aufzutreten, daher weißt du es! Habe ich recht?“ Malik raufte sich die Haare und wirkte sehr verzweifelt. Er sah so jämmerlich aus, dass Rouvard beinahe Mitleid mit ihm hatte. „Sie wird heute Abend die Kette nicht tragen“, begann Rouvard. „Am besten gehst du sofort zu ihr und redest ihr den Gesangswettstreit wieder aus...“ „Die Kette ist doch jetzt wertlos. Mein ganzer Plan, Tares zur Siegerin zu machen, ist dahin. Die magische Ladung in der Kette reichte nur noch für eine Anwendung! Die Vorsteher aus den Gilden hätten nichts gemerkt, da die Ladung ziemlich schwach war. Deswegen gab ich sie doch Tares. Sie hätte Gesangs-Königin werden können. Ich könnte mich treten für meine Voreile! Hätte ich doch nur....“ Malik war mit den Nerven am Ende, er raufte sich gequält die Haare und schaute Rouvard bittend an. „Bitte Rouvard, ich kann es Tares nicht sagen. Es würde ihr das Herz brechen...“ Rouvard nickte stumm. Vor seinem geistigen Auge sah er nochmals Tares strahlendes Gesicht. „Aber...“, begann er schließlich, „wir können sie auch nicht auftreten lassen, ihre Seele könnte Schaden nehmen, wenn sie Letzte werden würde. Wenn mir doch nur etwas einfallen würde...“ Sein Blick streifte Malik, der wie ein geprügelter Hund zusammengesunken da saß. „Eines will ich dir aber noch sagen, Herr Athramis. Zukünftig wirst du mich in deine seltsamen Machenschaften einweihen, wenn es um Tares geht! Verstanden?!“ „Oh Rouvard...“ Malik war aufgesprungen und wollte Rouvard zum Dank drücken, der jedoch wich einen Schritt nach hinten zurück und meinte nur: „Es geht mir nur um Tares und ihr Seelenwohl, also lass diese Gefühlsausbrüche. Wärst du nicht ein Ehrengast von Rouvasch, dann hättest du zeitlebens Hausverbot! Und nun komm, wir haben noch einiges zu erledigen, um Tares nicht Letzte werden zu lassen.“ Malik glaubte nicht richtig gehört zu haben. „Moment, Rouvard. Heißt das vielleicht...“ „Ja, ich werde den Wettstreit soweit manipulieren, dass Tares nicht Letzte wird, mehr nicht, Malik. Verstanden?“ Rouvard schüttelte nochmals seinen Kopf, dass seine weißen Haare nur so flogen, „Ich hätte nicht geglaubt, dass ich auf meine alten Tage nochmals tricksen würde.“ Der große Moment war gekommen. Rouvards Schänke war gerappelt voll, teilweise standen die Leute sogar vor der Schänke und schauten durch die weit geöffneten Schänkenfenster dem Treiben zu. Rouvasch und Rouvine standen hinter der Theke und füllten schweißgebadet ohne Unterlass die Gefäße mit Wein, Met und Bier. Von Rouvard und Malik fehlte jede Spur, und gerade jetzt hätten die beiden weitere helfende Hände gebraucht. „Hallo, geliebtes Bruderherz. Wir haben auch Durst!“ drang es durch die Geräuschkulisse an Rouvaschs Ohr. Der Halbelf schaute entnervt auf, diese Stimme kannte er doch. „Rhonda!“ entfuhr es ihm, seine Stimme klang höchst verärgert, „Was willst du denn hier? Dies ist ein Gesangswettbewerb, und keine zwielichtige Schänke, in der sich das Gesindel, dass du suchst, herumtreibt!“ „Nette Begrüßung!“, frotzelte Rhonda zurück, „ich bin hier, um Tares singen zu hören.“ „Wie? Tares? Singen? Davon weiß ich noch gar nichts...“ Rouvasch blickte Rhonda verwirrt an, „Woher weißt du...?“ „Wer ist denn Tares?“ warf eine Stimme ohne Körper ein, dann erschienen zwei Hände am Tresenrand und ein kleiner, grüner Kopf wurde sichtbar. „Takina?“ Rouvasch meinte in dem kleinen, grünen Goblin einen alten Bekannten wiederzuerkennen. „Er heißt Riffel und arbeitet mit mir zusammen...“ , begann Rhonda. „Kriegen wir jetzt was Trinkbares?“ schob sich eine weitere Stimme dazwischen, die zu einer jungen Frau in einer staubigen, tiefblauen Robe gehörte. „Gehört sie auch zu dir?“ Rouvasch warf einen fragenden Blick zu Rhonda. „Dies ist Klariss! Ich begleite sie ein Stück. Ende der Fragestunde. Eine Milch für den Gobbo, für Klariss eine Weinschorle und für mich ein Starkbier!“ meinte Rhonda trocken, dann schob sie aber noch ein „Bitte!“ hinterher, um ihrer Bestellung Nachdruck zu verleihen. Rouvasch füllte die Gefäße und wunderte sich nur noch. Rhonda hatte noch nie Starkbier getrunken, sollte sie wirklich nur privat hier sein? Aber warum hatte sie so seltsame Gestalten um sich versammelt? Er stellte die Getränke stumm auf den Tresen und hielt die Hand auf. „Rouvard zahlt für uns“, kicherte Rhonda mit einem wissenden Gesicht und schob sich mit ihrer Begleitung wieder in den Raum hinein, hinaus aus seinem Blickfeld. Rhonda hatte gekichert dieser höchst seltene Umstand machte Rouvasch doch sehr nervös und nachdenklich. Der dunkle, kräftige Klang des riesigen Gongs, der neben der Tribüne stand, sorgte dafür, dass endlich Ruhe in der menschengefüllten Schänke eintrat. Ein dunkler Vorhang hinter der Bühne wurde zur Seite geschoben und die obersten Lehrmeister der umliegenden Bardengilden traten hervor. Rouvard, der nun auch auf die Bühne trat, begrüßte derweil die vielen Gäste: „Herzlich willkommen zum alljährlichen Gesangswettstreit hier in Zyr. Es freut mich ungemein, dass meine Schänke in diesem Jahr den Wettstreit ausrichten darf. Begrüßt nun mit mir die Juroren. Aus der Bardengilde von Zyr kommt der geschätzte Dilling, die Gilde der Barden aus Lakatien hat Killian Krummnase zu uns gesendet. Aus der Bardengilde von Drego begrüßen wir Wulgen Wohlklang. Auch zu uns gereist ist Lilien Lautenschlag, die Vertreterin der Bardengilde unserer Landeshauptstadt Wolpa und natürlich haben wir auch wieder unseren Ehrenbarden dabei, der die Zunft der Wanderbarden vertritt. Einen Extraapplaus für Raffaelio Wunderklang!“ Die Menschenmenge hatte die ganze Zeit über brav applaudiert, als der ehrwürdige alte Barde Raffaelio jedoch die Bühne betrat, wurde der Beifall stärker, und vereinzelt standen Barden auf, um diesem alten Barden ehrfürchtig ihren Tribut zu zollen. Nachdem alle Juroren sich auf ihre Plätze seitlich der Bühne gesetzt hatten, erhob sich wieder Rouvards Stimme: „In diesem Jahr haben sich wieder die besten der besten Sangesbarden und –bardinnen hier zusammengefunden, um unter sich den besten Sangeskünstler oder die beste –künstlerin auszumachen. Freut Euch also mit mir auf Dringin Nockelkamm, Laurana Hellton, Paulon, Nellis, Takan Kannenguss und Tares. Und ich habe nun schon genug geredet, begrüßen Sie mit mir Dringin Nockelkamm!“ Rouvard verließ die Bühne und eine bunt gekleidete Person mit einer Wanderharfe unter dem Arm trat, von einem großzügigen Applaus begleitet, hinter dem Vorhang hervor. „Hallo alle miteinander!“, begrüßte er die Leute in der Schänke, „ich werde für euch und nur für euch das Lied vom Gockel Helias singen! Viel Spaß damit!“ Er griff in seine Harfe und begann mit fröhlicher Miene und einer dunklen, sanften Stimme zu singen. Bei seiner letzten Strophe geschah es dann! Keiner sah, woher es gekommen war, doch nun stand es auf der Bühne. Ein Huhn, wenngleich ein sehr aggressives. Dringin setzte gerade zum nächsten Hahnkräher in der Strophe an, als das Huhn ihn attackierte. Dringin blieben für einen Moment die Töne im Halse stecken. Dieses Huhn hatte ihn so fest in die Wade gepickt, dass seine Stimme zu wackeln und zu zittern begann. Sein fröhliches Gesicht wurde krebsrot vor Zorn. Nachdem er sein Lied mit dem Vers „drum liebt er die Hennen und die Hähne“ beendet hatte, trat er nochmals nach dem Huhn und traf es direkt in die Seite. Unter seinen wütenden Worten „Blödes Federvieh!“ schoss es wild flatternd in die Menschenmenge. Rouvard betrat mit einem verschmitzen Lächeln erneut die Bühne. „Das war Dringin Nockelkamm. Ich fand den Schluss zwar ein wenig exzentrisch, aber glücklicherweise entscheidet die Jury und nicht ich! Begrüßen Sie nun mit mir Laurana Hellton mit dem Lied ‚Ich liebe einen Troll’.“ Während ein mäßiger Applaus die besagte Künstlerin begrüßte, gesellte Rouvard sich zu Malik, der in einer dunklen, versteckten Nische nahe der Bühne hockte. „Gut gemacht, Malik!“ flüsterte er dem narbengesichtigen Barden zu. „Hä?“ entgegnete dieser erstaunt, „es ging doch daneben! Die Henne hier will einfach nicht aus dem Käfig rauskommen...“ „Wie?“ Nun war es Rouvard, der dumm aus der Wäsche schaute: „Aber...“ Ein heller Schrei ließ ihn innehalten; er blickte auf die Bühne zurück und wusste nicht, ob er laut lachen oder weglaufen sollte. Neben Laurana stand ein Troll, ein wahrhaftiger Troll, der sich zu Lauranas Lied sanft wiegend hin- und herbewegte. Die Bardin Laurana sang tapfer weiter und schob sich mit jedem gesungenen Wort ein Stück mehr vom Troll weg. Am Ende des Liedes stand nur noch der tanzende Troll auf der Bühne. Die Menge hielt den Atem an, was würde nun geschehen? Wie würde der Troll handeln? Einige Jurymitglieder sah man hektisch in kleinen Zauberbüchern blättern, doch der Troll schien friedlich zu bleiben. Entgegen Lauranas letzter Strophe, in der der Troll die Geliebte verspeiste. ging dieser Troll einfach von der Bühne, bahnte sich einen Weg durch die Menge und verschwand durch die Schänkentür nach draußen. Applaus wollte sich nicht so recht einstellen. Zögernd betrat Rouvard nun wieder die Bühne, er versuchte, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern und sagte den nächsten Teilnehmer an: „Das war die bezaubernde Tro... äh, ich meine natürlich Laurana. Nun tritt auf der allseits beliebte Paulon mit dem Lied ‚Ich bin ein freier Mann’! Applaus!“ Vereinzeltes Klatschen begrüßte den Mann, der mehr wie ein Waldläufer wirkte. Rouvard hatte sich wieder zurückgezogen. Bisher waren alle Barden bei ihrem Gesang gestört worden und Paulon würde auch gleich ein böse Überraschung erleben. Er selbst hatte nach Rhonda schicken lassen, damit sie Paulon, der nach Rouvaschs Ansicht der beste Teilnehmer war, aus dem Wettstreit bringen würde. Aber wer mochte noch ein Interesse daran haben, diesen Sangeswettstreit zu stören? Doch so sehr er nachdachte, es fiel ihm niemand ein. Rhonda saß mit Klariss und Riffel an einem Tisch nahe der Bühne. Sie selbst trank die Milch und hatte dem grünen Goblin das Starkbier überlassen. Riffel war daraufhin zwar schweigsamer geworden, hatte aber andere Qualitäten an sich festgestellt. Beim letzten Lied musste er schon von Klariss festgehalten werden, da er unbedingt mit dem Troll zusammen auf der Bühne schunkeln wollte. Paulon stimmte erneut seinen Refrain an. Riffel pfiff mit, nur leider völlig schräg. Die letzte Strophe von ‚Ich bin ein freier Mann’ setzte ein. Zu den Worten ‚Von niemandem werd ich gesucht’ erhob sich Rhonda von ihrem Platz und betrat die Bühne. Paulon war zu sehr auf das mitklatschende Publikum fixiert. Er bemerkte nicht, wie Rhonda zu ihm trat und fest am Arm packte. „Ja, Leute, ich bin frei...“, sang er noch, dann blickte er in Rhondas Gesicht und verstummte. „Doch leider ist das nun vorbei!“ ergänzte Rhonda lächelnd und fügte dann mit lauter Stimme hinzu: „Paulon wird in Prien wegen Betruges gesucht. Entschuldigt Leute, aber ich nehme ihn jetzt mit!“ Rouvard feixte Malik zu: „Klasse gelaufen, was?“ „Findest du?“ murmelte Malik nur und deutete auf die Bühne. Was Rouvard nun sah, gehörte wiederum nicht zu seinem Plan. Auf der Bühne standen zwei weitere Personen, die darauf bestanden, Paulon ausgeliefert zu bekommen. Rouvard stürzte auf die Bühne und konnte eine bevorstehende Prügelei Rhonda wollte natürlich Paulon nicht wieder herausrücken verhindern. Er warf Rhonda einen bittenden Blick zu, die mit säuerlicher Miene den Sänger an die beiden anderen Kopfjäger abgab. „Nach diesem kleinen Zwischenfall kommen wir zur nächsten Gesangsdarbietung. Die bildschöne Bardin Nellis wird Ihnen nun ihr Lied ‚Ich trage gülden Haar’ zum Besten geben.“ Nellis schwebte förmlich auf die Bühne und Rouvard ging nachdenklich ab. Er rekapitulierte nochmals die Sänger, ihre Titel und deren Zwischenfälle und erkannte einen Zusammenhang. Die Störungen standen mit den Liedern in Verbindung! Das, was geschah, war immer das Gegenteil von dem, was man sang. Dann müssten Nellis Haare gleich ausfallen oder.... „Iiiiih...!“, der hohe Schrei des Ekels ließ Rouvard unweigerlich zur Bühne schauen. Da stand Nellis, nur Nellis goldblondes Haar war nun pechschwarz, teilweise lief die schwarze Farbe auch in ihr Gesicht. Aus unerfindlichen Gründen war diese schwarze Farbe von der Decke getropft und hatte Nellis schwarzhaarig werden lassen. Rouvards Gang zur Bühne war schleppend. Er zwang sich ein Lächeln ab, während er Takan Kannenguss mit dem Lied ‚Alle sind so nett zu mir’ ansagte. Während er wieder nach hinten ging, dachte er an Tares Lied. Es hieß ‚Die Liebenden’. Sollte er sie wirklich auf die Bühne lassen? Laute Buhrufe und ein Pfeifkonzert bestätigten Rouvards Theorie. Kaum hatte Takan seine letzte Strophe begonnen, begannen die ersten Leute zu buhen und zu schimpfen. Wie ein geprügelter Hund verließ Takan die Bühne, er schimpfte über das schreckliche Publikum und schwor, nie wieder in Zyr aufzutreten. Tares stand erwartungsvoll und nervös hinter dem dunklen Vorhang und wartete auf ihren Auftritt. Gleich würde ihr Onkel ihren Namen aufrufen und sie würde auf die Bühne gehen und lächeln. Sie zupfte nochmals an ihrem dunkelblauen Kleid aus Seide, schaute auf die schönen neuen Sandalen und griff nach dem Goldkettchen, ihrem Glücksbringer, den ihr Malik für diesen großen Auftritt geliehen hatte. Ihre Hände zitterten, da endlich hörte sie die erlösenden Worte ihres Onkels: „Dies waren alle Interpreten, die Jury wird sich nun zurückziehen...“ Tares stand wie versteinert da. Ihr Onkel hatte sie vergessen - oder wollte er gar nicht, dass sie sang? Oh, wie gemein Onkel Rouvard doch sein konnte. Dicke Kullertränen rannen ihr Gesicht herunter, im gleichen Moment fiel mit einem Riesenradau der dunkle Vorhang zu Boden. Die Zuschauer, die Jury und auch Rouvard schauten erschrocken zu der Stelle, wo gerade noch der Vorhang gehangen hatte. Der lag nun am Boden und gab den Blick auf Tares frei, die bitterlich weinte. Rouvards Hals war trocken, sehr trocken sogar. Er musste sich in diesem Moment eingestehen, falsch gehandelt zu haben, er hatte seine kleine Tares sehr verletzt und sein Versprechen nicht gehalten. Der Zufall, oder eine Fügung des Schicksals hatten nun dafür gesorgt, dass seine Tat offenkundig wurde. Mit einem krächzenden Seufzer unterbrach Rouvard die Stille und sagte Tares an: „Oh, verzeiht mir! Da ist mir wohl ein kolossaler Fehler unterlaufen; ich vergaß die letzte Teilnehmerin anzusagen. Es ist Tares, meine kleine Tares, und sie wird euch allen von ‚DEN GELIEBTEN’ singen.“ Diesmal ging er aber nicht von der Bühne, sondern direkt auf die Kleine zu. Er trocknete ihr die Tränen und zog sie sanft nach vorne. „Dein Publikum wartet auf dich...“ meinte er mit erstickter Stimme und kämpfte mit seinen Tränen der Reue. Er war wirklich sehr gemein zu dem Liebsten, was er hatte, gewesen. Da stand Tares nun. Unzählige Augenpaare blickten sie erwartungsvoll an; sie holte noch einmal tief Luft, versuchte ein leichtes Lächeln aufzusetzen und öffnete den Mund. Wie von selbst huschten die melodischen Worte über ihre zarten, dünnen Lippen und verbanden sich mit der Melodie einer Rusko-Leier zu einer Komposition, die einerseits so wunderschön und andererseits so ergreifend war. Vereinzelt schluchzte der eine oder andere Zuhörer auf, ab und an musste sich ein Jurymitglied über die Augen wischen. Selbst Rouvard, der noch im hinteren Teil der Bühne wartete, um bei einem unvorhersehbaren Ereignis rasch eingreifen zu können, rannen die Tränen der Rührung das Gesicht herunter und befeuchteten seinen grauen Vollbart. Tares elfenhafter Gesang hatte die ganze Schänke gefangen genommen. Alle waren wie verzaubert und lauschten der hellen, kräftigen und auch traurigen Stimme der jungen Elfin. Tares stimmte die letzte Strophe an, noch immer schlüpften die lyrischen Worte wie von selbst aus ihr heraus. Aus einem Augenwinkel heraus bemerkte sie, wie zwei Gestalten die Bühne betraten. Rouvards Blick war einzig auf Tares gerichtet. Seine Tares. Er war ja so stolz auf sie. Für einen Moment passte er nicht auf und versank in seinen Gedanken, alten, vergessenen Gedanken, in denen er noch ganze Schänken mit seinen Geschichten zu erfüllen vermochte. Nun war er nur noch alt und langweilig, er... „Rhonda?!“ Sein Blick wanderte von Tares zu der Kopfgeldjägerin, die sich widerwillig von einem kleinen Gobbo auf die Bühne ziehen ließ. Was suchten denn die beiden auf der Bühne? „Und so kam es zu der Tragödie letzter Teil, es gellte ihr greller, finaler, letzter Schrei, bis zu den Dörfern der beiden Geliebten hin, denn das Leben machte für beide nicht mehr Sinn. Drum sprangen die beiden lächelnd Hand in Hand gemeinsam in das ewige glückliche Land.“ Tares Lied war zuende. Ihre letzten Töne hingen noch in der Luft, auch die wehmütige Melodie der Rusko-Laute klang ein wenig nach. Eine ehrfürchtige Stille setzte ein, bis die hohe, quietschige Stimme des Gobbos die Ruhe jäh zerstörte. „Rhonda?“ quäkte er, „Meine Rhonda, hier und jetzt gestehe ich, vor all den Leuten hier, dass ich dich unendlich liebe. Möchtest du meine Frau werden?“ Wieder setzte eine Stille ein, diese war jedoch nicht angenehm, sondern sehr nervenaufreibend, besonders für Riffel, der erwartungsvoll zu seiner großen Liebe, der Kopfgeldjägerin Rhonda Lautenschmied, aufblickte. Sämtliche Augen der Schänke starrten sie erwartungsvoll an, selbst Malik war aus der dunklen Nische gekrochen, um Rhondas Reaktion zu erleben. Rhonda wirkte sehr nachdenklich, dann schenkte sie dem Gobbo ein strahlendes Lächeln. „Mein lieber Riffel....“, begann sie mit honigsüßer Stimme, „es wird für mich eine besondere Ehre sein... Dir dein nicht vorhandenes Fell über die Ohren zu ziehen und an den nächstbesten Kürschner zu verkaufen!“ Ihre Stimme klang nun wieder kühl und gelassen. „Du hast dem Kind soeben die Schau gestohlen. Schäm dich! Troll dich von der Bühne, wir sprechen uns gleich noch!“ Während Riffel traurig und mit gesenktem Haupt sich von der Bühne trollte, begann Rhonda in die Hände zu klatschen. „Toll!“ meinte sie zu Tares, die nervös herumstand und nicht wusste, was das eben Geschehene eigentlich sollte, „einfach nur toll!“ Rouvard fiel als nächster in das Klatschen ein, dann folgte Malik und kurz darauf der ganze Saal. Bis an den Stadtrand von Zyr hörte man in den nächsten Minuten den Beifallssturm, der endlich losbrach. Unter dem donnernden Applaus erhob sich auch die gesamte Jury und beglückwünschte die über alles strahlende Tares zum Sieg des diesjährigen Gesangeswettstreits. Die Vorsteher der einzelnen Bardengilden waren sich in diesem Punkt einig gewesen. Wer es vermochte, die Zuschauer zu solchen Beifallsstürmen hinzureißen, verdiente es den Wettstreit zu gewinnen. Rouvard war so stolz auf seine Tares, dass er nicht eine, nicht zwei, sondern fünf Fässer Wein und Bier als Freigetränke spendierte. An diesem Abend wurde noch lange gefeiert, gesungen und getrunken. Dieser Gesangswettstreit in seiner Schänke würde noch lange Gesprächsthema in Zyr sein. Raffaelio Wunderklang war der letzte an diesem Abend, der die Schänke verließ. Beschwingt und stark angeheitert taumelte er zu seinem Planwagen zurück, den er vor den Toren Zyrs zurückgelassen hatte. „Und?“ fragte eine weibliche Stimme aus dem Wageninneren Raffaelios. Dieser grinste bereit und rieb sich zufrieden die Hände. „Wir hätten den ‚Liedinhaltumkehr’-Spruch gar nicht sprechen müssen. Rouvards Kleine hat wirklich Talent. Sie kann auch ohne die Gesangskette hervorragend singen; sie wird bestimmt einmal eine große Sängerin, auch ohne unsere Nachhilfe!“ Dabei grinste er breit und seine schiefen, gelben Zähne wurden sichtbar. „Wir geben ihr noch ein bis zwei Jahre zur Reifung, dann holen wir sie uns und unseren Freund Malik brauchen wir dann nicht mehr!“ Raffaelio lachte. Sein gehässiges, schmutziges Lachen zog durch die dunkle Nacht, wie ein unheimlicher Vorbote eines zukünftigen Verbrechens, bis es sich endlich in der weiten Steppe Tromothans verlor. ENDE
Bardenwettstreit